Warum ich keine Ruhe gebe…

Boot_WinterVor einigen Wochen hatte ich ein Gespräch mit meiner Cousine. Sie ist ein halbes Jahr jünger als ich und wird in 9 Monaten in Ruhestand gehen. Sie erzählte mir von weiteren Bekannten, die ebenfalls vor diesem Schritt in einen neuen Lebensabschnitt stehen. Am Ende fiel von ihr der Satz: Die Einzige, die weitermacht, bist Du. Es war eine Feststellung, mehr nicht. Doch sie löste etwas in mir aus.

Auch wenn ich langsam das Alter erreicht habe, in dem andere „mit dem Arbeiten aufhören“, kann ich mir dies nicht vorstellen. Es würde bedeuten, etwas zu beenden, was ich als meinen Lebensinhalt sehe. Auch wenn ich bei manchen damit auf Unverständnis stoße, von denen ich höre: Gib doch einfach mal Ruhe! Würde ich gerne, geht nur leider nicht.

Warum ich keine Ruhe gebe: meine 5 Gründe

Hier meine fünf Gründe, in denen Sie sich vielleicht wiederfinden, wenn Sie jenseits der 50 sind und sich Fragen nach dem „Wohin?“, „Was noch?“ und „War’s das schon?“ stellen.

1.  Weil ich ein Anliegen habe

Bereits letzten Sommer habe ich mir im Rahmen einer Blogparade Fragen nach meinem Warum gestellt. Dabei sind vier Antworten aufgetaucht, die mich antreiben das zu tun, was ich als meine Aufgabe in diesem Leben sehe. In den Monaten seither ist mir noch viel deutlicher geworden, wie wichtig mir mein Anliegen ist, Menschen in der Lebensmitte ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen.

Viele der Blogs, die ich lese, richten sich an Menschen, die etwa 20 Jahre jünger sind und etwas verändern oder ein sinnvolles Leben führen wollen. Mit Ende 30 oder Anfang 40 sind die Voraussetzungen andere und zum Teil auch die andere Rahmenbedingungen, die ihre Entscheidungen beeinflussen. Wer schon etwas älter ist, tut sich in manchen Dingen etwas schwerer. Die Herausforderungen reichen vom Umgang mit ungewohnter Technik über eingefahrene Gewohnheiten bis zu häufig doch recht komfortablen Lebensbedingungen, die sie nur ungern gegen die Ungewissheit eines anderen Lebensmodells aufgeben.
Dass ich hier anders ticke und mir darüber weniger Gedanken mache, fasziniert viele Menschen – und lässt mich in vielen Augen jünger erscheinen. Diesen Mut, zu ändern, was einfach nicht mehr stimmt, möchte ich weitergeben – an Menschen meiner Generation, die in der Lebensmitte an einem Wendepunkt stehen. Was die meisten daran hindert, ist weniger der Mut, sondern es sind verlockende Perspektiven, um die eigenen Trägheit zu überwinden.

2.  Weil ich etwas zu sagen habe

Klingt zunächst wie Selbstbeweihräucherung. Ist jedoch Ergebnis von Hinhören und Bestärkung aus den Rückmeldungen, die ich in letzter Zeit erhalten habe. Gefragt und besser noch: ungefragt 🙂
Weil ich etwas zu sagen habe und Menschen aufrütteln will, beziehe ich öfter Stellung zu Themen, zu denen ich früher den Mund gehalten oder maximal in einem Vortrag etwas gesagt habe. Wie kürzlich in meinem Beitrag Warum ich SMARTe Ziele für Blödsinn halte. Die Reaktionen darauf waren überwiegend positiv, auch wenn ich damit natürlich anecke oder auf Widerspruch stoße.

Auch in meinem gerade beendeten Online-Programm Eigentlich sollte ich… Endlich handeln! habe ich Impulse gegeben, die manches Aha! ausgelöst haben. Seien es Hinweise, wie wichtig es ist, Plateaus als Zeit der Festigung zu erkennen, die unendliche Wirkung von Selbstsuggestionen (in Form von “kann ich nicht!”) oder wie oft hinter Aktionen ein Mangel-Denken steckt.

Oder vor zehn Jahren, als ich entdeckte, dass es einen deutlichen Unterschied gibt zwischen der Art und Weise, wie Männer und Frauen an Ziele herangehen. Obwohl in Büchern und Vorträgen alle über einen Kamm geschoren werden. Erst dachte ich, dass ich was falsch mache. Doch dann erkannte ich einen grundsätzlichen Denkfehler, der immer weiter verbreitet wurde. So entstand mein Ansatz „Ziele brauchen LIEBE“, der bei vielen Frauen und manchen Männern ein Gefühl der Erleichterung hervorrief.

3.  Weil ich immer noch Lust auf etwas Neues und viele Ideen habe

Meine kindliche Neugier habe ich mir bis heute bewahrt. Daher beschäftige ich mich immer noch gerne mit Neuem. Vor allem haben es mir Vorgehensweisen und Methoden angetan, die einfach umzusetzen sind und einen hohen Nutzen bringen. Diese probiere ich zunächst selber aus. Wenn sie bei mir funktionieren, gebe ich sie an meine Teilnehmenden und meine Coachees weiter. Auch hier im Blog stelle ich in der Kategorie „Mut-Werkzeuge“ regelmäßig solche Ansätze vor.

Mir fallen immer wieder Vorgehensweisen auf, die sich auf mein Business umsetzen lassen. Diese Ideen sammle ich in einem Ideenbuch. Inzwischen brauche ich deutlich länger aus früher, bis ich Ideen tatsächlich umsetze. Ich bin langsamer geworden und ich setze mich weniger unter Druck. Auch wenn ich manchmal denke: Mir läuft die Zeit davon! Heute vertraue ich darauf, dass keine Eile (mehr) geboten ist. Ich weiß: zum richtigen Zeitpunkt fügt sich alles perfekt zusammen. Das ist ein Ergebnis aus Altersweisheit und vielfältigen Erfahrungen 🙂

4.  Weil ich für manches erst jetzt den Mut habe

Viele Menschen träumen davon, für einige Monate oder länger ins Ausland zu gehen und von dort aus ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Wer dies umsetzt, schreibt darüber im eigenen Blog oder gleich ein Buch. Als ich letzten Sommer das spannende Buch Lockruf des Lebens von Olaf und Beate Hofmann las, erfasste mich eine gewisse Wehmut: Das würde ich auch gerne machen: ein Jahr in Kanada verbringen…“ Bis mir einfiel, dass ich dies bereits erlebt habe. Ich war 40 und hatte gerade meinen Karrierejob verlassen, als ich nach Seattle / USA gegangen bin und dort 2,5 Jahre überwiegend gelebt habe. Dies liegt schon so lange zurück, dass ich es völlig ausgeblendet hatte. Dabei war es damals ein wichtiger Schritt, der mich auf einen völlig anderen Weg gebracht hat.

Für solche Träume brauche ich keinen Mut mehr.
Heute sind es die kleineren Träume, für die ich erst jetzt mutig genug bin. Sie drehen sich um „Alltagsthemen“, die von mir verlangen, mich mit gewohnten Verhaltensweisen und Mustern zu beschäftigen. Oder Neuland in technischer oder gedanklicher Hinsicht zu betreten. Mich noch einmal mit meinen Träumen, Hoffnungen und konkreten Zielen auseinanderzusetzen. Weiterhin groß zu denken und mich nicht von Sätzen wie „Du gibst wohl nie Ruhe!“ abhalten zu lassen, meine Vorstellungen umzusetzen. Dazu gehören mein Plan, in den nächsten Jahren ein Netzwerk von Mutmachern und Mutmacherinnen aufzubauen und mein Unternehmen in einigen Jahren in jüngere Hände zu geben. Das sind Vorhaben, für die ich meine Komfortzone erweitern darf, in der sich viele Menschen meines Alters mit Vorliebe aufhalten. Auch für mich erfordert dies, Schritte zu gehen und Dinge zu tun, die ich bislang erfolgreich vermieden habe.

5.  Weil noch lange nicht Schluss ist…

Es sind noch ein paar Jahre bis dahin, dennoch kommt mir der Refrain aus einem Song von Udo Jürgens immer wieder in den Sinn:

Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an
Mit 66 Jahren, da hat man Spass daran
Mit 66 Jahren, da kommt man erst in Schuss
Mit 66 Jahren, ist noch lang noch nicht Schluss

Was machen Menschen, die mit Anfang oder Mitte 60 in Rente gehen, mit der oftmals langen Zeit, die noch vor ihnen liegt?
Mit der Zeit, die Paula Payne Harding “Vielleicht die besten Jahre überhaupt” nannte. (Auf englisch ist der Titel ihres Buches provozierender: What are you doing with the rest of your life?)

Viele Ältere geben es häufig nicht zu, dass es ihnen wie einer Teilnehmerin im Orientierungs-Workshop „Zweite Karriere: Selbständigkeit?!“ ergeht. Sie war im Sommer 2014 zum regulären Zeitpunkt in Rente gegangen. Die ersten drei Monate waren wunderbar. Endlich Zeit für alles, was bis dahin wenig Raum hatte. Doch dann war „Schluss mit lustig“. Sie fing an, sich zu langweilen und spürte, wie sie damit in einen Abwärtsstrudel geriet. Also suchte sie sich eine sinnvolle, sprich: ehrenamtliche Tätigkeit. Diese machte ihr große Freude. Sie wurde gebraucht, erhielt viel positives Feedback und machte etwas in ihren Augen Sinnvolles.
Dann kam der Punkt, an dem sie feststellte: Auch wenn ich eine gute Rente habe, will ich mit dem, was ich gut kann, Geld verdienen. Das war ihr Ausgangspunkt im Workshop. Im Verlauf des Tages wurde aus ihrer Idee ein konkretes Vorhaben, das sie seither umsetzt.

Mir geht es ähnlich wie dieser Teilnehmerin.
Ich möchte mein in über 20 Jahren Selbständigkeit und vielen Wandelphasen gesammeltes Wissen und meine vielfältigen Erfahrungen weitergeben. In meinen Workshops, Coachinggruppen und Einzelberatungen erlebe ich, dass dieses Know-how vielen Menschen als Anregung und Vorbild für ihren eigenen Weg dient. Das möchte ich nicht brachliegen lassen oder gar verschenken.
Zudem habe ich den großen Vorteil, dass ich als Selbständige selbst entscheide, was ich wem wann mit welchem Einsatz anbiete. Das nenne ich den wahren Luxus eines fortgeschrittenen Alters 🙂

Worauf haben Sie noch Lust?
Was wollen Sie in diesem Leben noch bewegen, wofür sich einsetzen?
Wo geben Sie – wie alt oder jung Sie auch sind – einfach keine Ruhe, weil ein Thema Sie so beschäftigt, dass Sie es nicht sein lassen können?

Ich bin gespannt auf Ihre Antworten.

Ulrike Bergmann Zur Person: Ulrike Bergmann
DIE MUTMACHERIN begleitet seit 30 Jahren lebenserfahrene Solo-Unternehmerinnen, ihre Vorstellungen von einem erfüllten Berufs- und Privatleben mit Leichtigkeit und Klarheit zu verwirklichen und mutig ihren eigenen Weg zu gehen. Im MUTMACHER-MAGAZIN gibt sie Einblicke in ihre Schatzkiste und bestärkt ihre Leserinnen darin, mutig ihren eigenen Weg zu gehen.

8 Gedanken zu „Warum ich keine Ruhe gebe…

  1. Sabine Maennel

    Liebe Ulrike Bergmann,
    mir geht es genau wie Ihnen und ich bin gerade im Startup-Fieber und habe eine Partnerin dabei, die genau so alt ist wie ich. Wir versuchen gerade beide unsere Träume umzusetzen. Mein Startup ist eine Lernplattform und ihres ist ein neues Lebensmodell, das Jung und Alt und lebenslanges Lernen integriert. Ich war die meiste Zeit meines Lebens mit Famile und dem Verstehen der Gesellschaft beschäftigt. Für mich ist genau jetzt, mit kurz über 50, die beste Zeit dafür, aktiv zu werden. Ich habe verstanden, was ich verstehen wollte, den Rest meiner Zeit will ich mich dafür einsetzen, selbst die Dinge voranzutreiben, die ich für gut befinde und ich bin froh eine Geschäftspartnerin zu haben, die so tickt wie ich. Denn Sie haben wohl recht, ganz einfach ist es nicht, jemanden zu finden, der diese Aufbruchstimmung teilt und dann noch den Aufbruch mit einem zusammen wagen will.
    Ich habe diesen Blog zufällig in meinem Facebook-Stream gefunden. Und da noch niemand etwas geschrieben hatte auf Ihr gutes Thema, das auch mich bewegt, dachte ich mal: okay schreibe ich was.
    Mit lieben Grüssen und weiterhin alles Gute
    Sabine Maennel

    PS: Hier noch eine interessanter Artikel für Sie, den ich gerade gelesen habe: A Centenarians Advice to Young Women: Figure out What you want”

  2. Ulrike Bergmann Beitragsautor

    Liebe Sabine Maennel,
    ich freue mich, dass Sie den Mut hatten, hier einen Kommentar zu hinterlassen ebenso wie über den Artikelhinweis.
    Wie schön, dass Sie eine Partnerin gefunden haben, mit der Sie Ihren Traum umsetzen können. Dafür wnsche ich Ihnen beiden viel Erfolg und mutig-leichte Schritte!
    Liebe Grüße vom Chiemsee
    Ulrike Bergmann

  3. Susanne

    Liebe Ulrike,
    Haha, über die ersten Zeilen hinweg verstand ich Deinen Artikel gar nicht, als dass Du tatsächlich viel jünger aussiehst und wirkst. “Hä? Warum sollte Ulrike mit 50 schon Ruhe geben?”
    Die Frage Deiner Cousine liest sich eher neidisch. Meines Erachtens gibt es genau einen Grund “Ruhe zu geben”: man hat keine Lust mehr.
    Leider haben nur wenige Menschen den Mut, ihren ungeliebten Job aufzugeben und etwas zu tun, was mit Herz und Leidenschaft gelebt werden kann.
    Ich hoffe, Du gibst noch lange nicht Ruhe!
    Liebe Grüße
    Susanne

  4. Ulrike Bergmann Beitragsautor

    Liebe Susanne,
    hihi – das geht mir öfter so, dass mich Menschen jünger einschätzen als ich bin. Das hat sicher damit zu tun, dass Begeisterung jung erhält 🙂
    Ich hoffe sehr, dass ich noch viele eigene Vorhaben umsetzen und viele Menschen darin bestärken kann, den Mut zu entwickeln, ihren eigenen Weg zu ihren Wünschen, Hoffnungen und Träumen zu gehen.
    Dir weiterhin viel Begeisterung für Dein leidenschaftliches Tun!
    Liebe Grüße
    Ulrike

  5. Martina

    Liebe Ulrike,
    kommt gar nicht in Frage, dass Du Dich zur Ruhe setzt! Da würde ja gehörig was fehlen. In diesem Sinne freue ich mich auf die nächsten 20 Jahre Mutimpulse.
    Viele Grüße Martina

  6. Ulrike Bergmann Beitragsautor

    Liebe Martina,
    danke für Deine wertschätzenden Worte!
    Es besteht keine Gefahr 🙂 Ich liebe meine Arbeit viel zu sehr und habe noch genügend Ideen, die ich in die Welt hinaustragen möchte. Vielleicht keine weiteren 20 Jahre, aber sicher noch bis zu meinem 25-jährigen Jubiläum 😉
    Herzlichst, Ulrike

  7. Pingback: Warum ich keine Ruhe gebe … › La Schuseils Blog

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