Keine Mühe machen – eine andere Sichtweise

Auf meinen Beitrag Geben Sie sich keine Mühe! erhielt ich folgende Antwort, die ich mit Einverständnis der Verfasserin Heike Kunze mit Ihnen teilen möchte:

“Das mit dem “Mühe machen” gilt für eine bestimmte Generation, nämlich die, die gelernt haben, dass man sich anstrengen muss, dass das Leben und Arbeit kein Zuckerschlecken ist und die deswegen zu sehr darauf gerichtet sind, sich ständig anzustrengen. Allerdings ist dies ein sehr wichtiger Entwicklungsschritt, der heute zu schnell als “falsch” abgetan wird. Im Moment ist eine Generation am Wachsen, deren Eltern “bemüht” sind, ihnen alle Mühe abzunehmen. Die Folgen davon werden jetzt deutlich und werden uns die nächsten Jahre noch begleiten. Es braucht erstmal die geistige Reife hat, um zu verstehen, dass ich mich anstrengen muss, um für meine Wünsche und Bedürfnisse zu sorgen, dass es mit dem Wünschen ans Universum nicht einfach getan ist. Unsere Generation ist noch zu sehr auf “Leistung” getrimmt, aber das hat sich sehr stark verändert.

Aus leidvoller eigener Erfahrung mit dem lieben Nachwuchs kann ich Dir heute nicht vollständig zustimmen und muss mein Veto einlegen. Wir müssen sehr aufpassen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Wie fast immer kommt es auf die richtige Balance an. Viele Kinder haben heute keine Pflichten mehr im Haushalt, selbst in der Schule werden die Anforderungen heruntergeschraubt und was noch viel schlimmer ist, sie lernen nicht, sich an die Regeln des gesellschaftlichen Miteinanders zu halten. Sie sitzen viel zu viel vor dem Fernseher und Computer und lassen sich von Mama und Papa versorgen, die ihnen jede Mühe ersparen wollten.

Vermutlich ist die Generation, die Deinen MUT-Macher liest, nicht diejenige, die sich keine “Mühe” gibt, aber die die Kinder haben, denen sie alle Mühe abnehmen wollen. Auch wir gehörten dazu und müssen jetzt feststellen, dass sich ein 24-Jähriger außerstande sieht, emotional und materiell für sich selbst zu sorgen.

Aus meiner Sicht gibt es drei grundsätzliche und wichtige Phasen, die unsere Psyche durchläuft und am Anfang des Lebens braucht es eine Anpassungsphase. Wir haben sie mehr oder weniger durchlaufen und befinden uns in der nächsten Phase, nämlich heraus zu finden, wer und was wir selbst sind, aber wir können auf all das aufbauen, was wir in der ersten Phase gelernt haben. Statt dafür dankbar zu sein, weil wir wissen, wie wir uns zu benehmen haben und wie wir anpacken müssen/können, ist unsere Generation schnell dabei, ihre Eltern zu verurteilen, weil in ihrer Kindheit nicht alles so lief, wie sie es sich gewünscht hätten. Aber was passiert mit einer Kindergeneration, denen fast jeder Wunsch erfüllt wird und die nicht mehr gelernt haben, sich anzupassen?”

Dazu mein Kommentar:

Mein Beitrag bezog sich in der Tat auf Menschen, die mit einer anderen Haltung aufgewachsen sind. Vielleicht erklärt sich gerade daraus das beschriebene Phänomen und die geschilderten Folgen für junge Menschen. Zum anderen möchte ich damit keineswegs sagen, dass wir uns nicht anstrengen müssen, um im Leben etwas zu erreichen. Im Gegenteil: Es geht immer wieder darum, konkrete Schritte zu unternehmen und sich dafür anzustrengen (d.h. nicht gleich be-MÜHE-n!), um die eigenen Ziele auch zu erreichen. Mit geht es immer wieder darum, sich dessen bewusst zu sein, was wir mit unseren Worten sagen.

Hier ein Beispiel:

Eine Teilnehmerin sprach kürzlich davon: Ich habe mich so sehr bemüht (… und warum ist das Ergebnis dann so anders als gewünscht?). Sie war in diesem Moment (noch) nicht bereit, sich anzusehen, wie sehr sie ihre Entwicklung kontrolliert hatte und was zu eben jenem beklagten Ergebnis führte. Auch durch diesen Impuls wurde ihr bewusst, was ihr eigener Anteil daran war und sie konnte für sich eine neue Entscheidung treffen.

Wie Sie sehen, hat das Thema viele Facetten. Ich freue mich auf Ihre Erfahrungen und Gedanken dazu.

Ulrike Bergmann Zur Person: Ulrike Bergmann
DIE MUTMACHERIN begleitet seit 30 Jahren lebenserfahrene Solo-Unternehmerinnen, ihre Vorstellungen von einem erfüllten Berufs- und Privatleben mit Leichtigkeit und Klarheit zu verwirklichen und mutig ihren eigenen Weg zu gehen. Im MUTMACHER-MAGAZIN gibt sie Einblicke in ihre Schatzkiste und bestärkt ihre Leserinnen darin, mutig ihren eigenen Weg zu gehen.

2 Gedanken zu „Keine Mühe machen – eine andere Sichtweise

  1. Sylvia Hatzl

    Liebe Ulrike, liebe Frau Heinze,
    ein bißchen scheint sich die Fragestellung/Überlegung hier im Kreisen um die Wortwahl zu verlieren, und in direkter Folge in den Assoziationen und Wertungen der jeweiligen Begrifflichkeiten.
    Ob man sich nun Mühe macht, Mühe gibt, sich anstrengt, übt, macht oder tut – darum geht es gar nicht.
    Leben an sich ist Mühe, Anstrengung, Tun: das Herz schlägt und pumpt das Blut durch die Adern und wieder zurück, und jeder Atemzug ist unter dem Mikroskop betrachtet ein angestrengtes Tun.
    Jede Geburt ist ein Kraftakt höchster Anstrengung und Mühe.
    Ein Kind, das lernt zu gehen, müht sich und kämpft und strengt jeden Muskel an.
    All dies geschieht, OHNE daß wir darüber nachdenken. Ohne daß wir uns bewußt anstrengen. Ohne daß wir uns darauf fokussieren – und sind dennoch ganz und gar dabei. Kein Kind käme auf die Idee, mit beiden Händen jeweils ein Bein zu greifen, um es vor das andere zu setzen, wenn es anfängt zu gehen. Es “geht einfach”.
    Genau wie Atmen. Wir “tun einfach”. Wir lassen es zu, wir lassen es geschehen, daß dieses Tun, diese Aktivität möglich wird, möglich sein kann.
    Zur Frage der Generation möchte ich sagen, daß ich die Aussage von Frau Heinze nicht nur für sehr pauschalisiert, sondern auch für unzutreffend halte. Ich finde ganz und gar nicht, daß Mühen abgenommen wurden – sie wurden “nur” ausgetauscht. Der Zwang und das Einfordern von Anstrengung und sich Abmühen (im gegenteiligen Sinne von Atmen und Aktivität-Zulassen) hat sich auf andere Bereiche verlagert, nämlich dem Sich-Anpassen an Standards und Normen. Wer heute als Zehnjähriger lieber NICHT vor dem Computer sitzt, sondern stattdessen herumtobt, der kriegt schnell einen ganz bestimmten Stempel verpaßt, den er unter Umständen sein Leben lang nicht mehr los kriegt.
    Unsere ganze Gesellschaft ist auf Leistung getrimmt, und das hat sich in keiner Weise verändert. Wie Kinder heute in Vorschule, Grundschule und ganz zu schweigen auf dem Gymnasium auf Leistung getrimmt werden, ist kaum mehr zu übertreffen: so manche/r 12jährige steht früh um sechs Uhr auf und kommt nicht vor Mitternacht ins Bett, um das Leistungspensum zu erfüllen. Und am Wochenende kommen dann diverse Freizeitaktivitäten hinzu. Daß “Regeln des gesellschaftlichen Miteinanders” nicht mehr erzieherisch weitergegeben würden, kann ich ebenfalls nicht bestätigen, ganz im Gegenteil. Die Kinder lehren wir das sehr wohl, aber das, was die Welt der Erwachsenen da draußen ihnen täglich vormacht, ist genau das Gegenteil.
    Daß es in der Tat Menschen gibt, denen von den Eltern alles abgenommen wurde, die als Erwachsene nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen… daran besteht kein Zweifel. Das ist aber nur augenscheinlich eine Frage der Generation. Sieht man genau hin, finden sich da ganz andere Gründe und Zusammenhänge (und in diesen Fällen sind zunächst ganz andere Schritte zur Heilung notwendig, als Coaching und MUT-Machen – da sollte man nichts vermischen oder verwechseln).
    In diesem Sinne: es geht um die anstrengungslose Anstrengung, die erwartungslose Erwartung, die mühelose Mühe – worin wir unser ganzes Leben lang immer Übende sind und bleiben.
    Viele Grüße!

  2. Ulrike Bergmann Beitragsautor

    Liebe Sylvia,
    danke für Deine differenzierende Betrachtung. Meine Gedanken und Anregungen zielten auf den Bereich, wo wir uns bewusst “Mühe machen”, um etwas Bestimmtes zu erreichen. ich unterscheide dies vom eher “beiläufigen”, von Innen gesteuerten Lernen oder Atmen. Wie oft wollen Menschen etwas (Ziele, Ergebnisse oder anderes) und setzen all Ihre Kraft dafür ein. Darüber verlieren sie manches Mal allerdings den Blick für das, was daneben auch noch wichtig ist: Leichtigkeit, Loslassen und sich öffnen für neue Sichtweisen oder Signale, die von Außen kommen, jedoch in diesem Moment nicht zu dem Weg passen, den sie sich vorgestellt haben. Damit tritt das ein, was Du als “anstregnungslose Anstrengung”… bezeichnest.
    Herzliche Grüße, Ulrike

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